Trauer um Egon Bahr

Veröffentlicht am 23.08.2015 in Bundespolitik

Egon Bahr ist tot. Der frühere enge Vertraute des SPD-Kanzlers Willy Brandt und Ex-Bundesminister starb im Alter von 93 Jahren. Die deutsche Sozialdemokratie und viele Menschen in Europa trauern um einen „mutigen, aufrichtigen und großen Sozialdemokraten, den Architekten der deutschen Einheit, Friedenspolitiker und Europäer“, zeigt sich der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel in seinem Nachruf tief bestürzt.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel zum Tode Egon Bahrs:

Die deutsche Sozialdemokratie trauert um Egon Bahr. Wir nehmen Abschied von einem großen Sozialdemokraten und Staatsmann, der uns bis in die jüngsten Tage stets ein kenntnisreicher Ratgeber und verlässlicher Freund war.
 
Egon Bahrs Wirken für Deutschland und Europa hatte bereits zu Lebzeiten historische Bedeutung erlangt. Sein Leben und politisches Handeln wird vor allem mit der Entspannungspolitik und der Aussöhnung mit dem Osten verbunden bleiben. Viele in Deutschland und Europa sind ihm – über Parteigrenzen hinweg - bis heute dankbar für das, was er damals zusammen mit Willy Brandt für sie erreicht hatte.
 
Egon Bahr wurde 1922 an der Grenze zwischen Thüringen und Hessen, in Treffurt geboren, seine schulische Laufbahn schloss er in Berlin 1940 mit dem Abitur ab. Wie viele unserer Genossinnen und Genossen hat auch er unter der Hitler-Diktatur gelitten. Er durfte wegen seiner jüdischen Großmutter nicht studieren, nahm aber gleichwohl am Krieg teil. Aus diesen Erfahrungen hatte er als junger Mann die Erkenntnis gewonnen, dass „ohne Frieden alles nichts ist“. Dies blieb die oberste Maxime für sein gesamtes politisches Wirken.
 
Unmittelbar nach dem Krieg 1945 begann Egon Bahr eine journalistische Tätigkeit. Nur Zeitzeuge zu sein genügte ihm bald nicht mehr, denn die deutsche Frage beschäftigte ihn seit den fünfziger Jahren. Er wollte politisch mitgestalten und mithelfen, „dass der Frieden bleibt“. Deswegen trat er 1956 in die SPD ein. Er hatte erkannt, dass die Westpolitik Adenauers zwar unverzichtbar, aber in Zeiten der Ost-Westkonfrontation nicht genügen würde, die deutsche Teilung zu überwinden.
 
Willy Brandt, der sein außerordentliches intellektuelles, politisches und kommunikatives Talent erkannt hatte, machte ihn 1960 zu seinem Presse- und Informationschef in Berlin. Den Bau der Mauer am 13. August 1961 bezeichnete Egon Bahr später als die eigentliche Geburtsstunde der Entspannungspolitik. Das tägliche Erleben von grausamen Folgen der Teilung hatte ihn angespornt, eine zunächst rein gedankliche Methode zur Überwindung der menschenverachtenden Trennung zu entwickeln.
 

Sigmar Gabriel trägt sich in das Kondolenzbuch zum Tode Egon Bahrs ein.
Sigmar Gabriel schreibt im Willy-Brandt-Haus in das Kondolenzbuch zum Tode Egon Bahrs (Foto: SPD)

Dies geschah an der Seite Willy Brandts zunächst im Auswärtigen Amt, ab 1969 im Kanzleramt in Bonn. Die legendäre Formulierung „ Wandel durch Annäherung“ entstand 1963 aus der nüchternen Anerkennung der Realität. Egon Bahr erdachte in den folgenden Jahren mit seinen herausragenden politisch-analytischen Fähigkeiten eine Strategie, die später Zug um Zug durchgeführt wurde. Dieses weit in die Zukunft reichende Projekt vertraute wesentlich auf die Kraft des Gesprächs und damit auf die Macht der Freiheit. Immer stand dabei die konkrete Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen im Vordergrund. In zähen Verhandlungen, in denen es gelungen war, gemeinsame Interessen festzulegen, gelang schrittweise die Überwindung von gegenseitigen Feindbildern. Ziel war, die erstarrte Ost-Westkonfrontation in Kooperation zu verwandeln. Am Zustandekommen des Moskauer Vertrages, des Grundlagenvertrages und des Warschauer Vertrages hatte die Verhandlungskunst Egon Bahrs entscheidenden Anteil.
 
Der Wandel, der durch diese Entspannungspolitik im sowjetischen Machtbereich hervorgerufen wurde, war Teil dieser durchaus selbstbewussten Politik. Einer Politik, die Deutschlands Platz in Europa und der Welt neu festlegte und ihm eine partnerschaftliche Rolle im Kreise seiner Nachbarn zuwies. Egon Bahr hat als enger Freund und Berater von Willy Brandt viel Häme und Schmähungen von konservativer Seite aushalten müssen. Heute ist allgemein anerkannt, dass die Ostpolitik eine entscheidende Voraussetzung zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas war.
 
Die politische Lebensleistung Egon Bahrs ist herausragend und wird vor der Geschichte Bestand haben. Er hat zahlreiche Ehrungen für sein politisches Lebenswerk erhalten, seine größte Belohnung jedoch war der Fall der Mauer im November 1989.
 
Egon Bahr war nicht nur ein großer außenpolitischer Vordenker, sondern hat mit einzigartiger politischer Tatkraft und psychologischem Einfühlungsvermögen seine Konzepte in die Tat umgesetzt. In all seinen Ämtern - auch später als Minister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Bundesgeschäftsführer der SPD - blieb er ein unabhängiger, freier und kreativer Geist, der sich den vorherrschenden Meinungen nicht anpasste, sondern in bester sozialdemokratischer Tradition auf die aufklärerische Kraft der Vernunft und des Wortes setzte. Um unsere Demokratie hat er sich mit dieser Lebensleistung in herausragender Weise verdient gemacht.
 
Wir sind dankbar, dass er seine SPD stets loyal begleitet hat und werden seine analytische Brillanz, seine Rationalität und Leidenschaft, aber auch sein Temperament und seinen liebenswürdigen Humor sehr vermissen.
 
Ich bin unendlich traurig, mit ihm einen Freund verloren zu haben, der mir in vielen Gesprächen mit seinen überragenden Kenntnissen und großen historischen Erfahrungen Rat gab.

 

     

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